Lesegottesdienst Sonntag Lätare (Bickelhaupt)

Psalm des Sonntages - Psalm 84

 

2 Wie lieblich sind deine Wohnungen, HERR Zebaoth! 3 Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des HERRN; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. 4 Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – deine Altäre, HERR Zebaoth, mein König und mein Gott. 5 Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar. Sela. 6 Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln! 7 Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, / wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen. 8 Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion. 9 HERR, Gott Zebaoth, höre mein Gebet; vernimm es, Gott Jakobs! Sela. 10 Gott, unser Schild, schaue doch; sieh an das Antlitz deines Gesalbten! 11 Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend. Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause als wohnen in den Zelten der Frevler. 12 Denn Gott der HERR ist Sonne und Schild; / der HERR gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen. 13 HERR Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verlässt!

Predigt über Jesaja 66, 10-14

 

10 Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. 11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust. 12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. 13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. 14 Ihr werdet's sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.

 

Ein Text der Freude, der uns da entgegenkommt, mitten in einer Zeit der globalen Verunsicherung. Und eigentlich ist ja auch die Kirchenjahreszeit, die wir als Fasten- oder Passionszeit bezeichnen, nicht unbedingt inhaltlich eine Zeit der Freude – Leiden und Sterben Jesu stehen im Mittelpunkt dieser Wochen. Auf den ersten Blick könnte man denken: da hat der liturgische Ausschuss, der diesen Text als Text für den 4. Sonntag der Passionszeit festgelegt hat, wohl nicht richtig aufgepasst.

 

Hat er aber doch, denn die Zeit, in der der Prophet Jesaja diese Botschaft Gottes verkündet, war durchaus keine rosige. Die Worte richten sich an die jüdischen Rückkehrer aus dem Zwangsexil. Jerusalem, 587/86 v.Chr. von den Babyloniern samt Tempel in Schutt und Asche gelegt, hatte ca. 50 Jahre nur vor sich hinvegetiert. Ein Großteil der Einwohner, vor allem die Führungsschicht, war von den Eroberern ins Zweistromland deportiert und in kleine Gruppen zerstreut worden. Dort lebte eine ganze Generation des israelitischen Volkes umgeben von Menschen mit fremden Bräuchen, einer fremden Sprache und einer fremden Religion.

 

50 Jahre – das ist eine lange Zeit – da passt man sich an und richtet sich ein. In 50 Jahren werden eine Menge Kinder geboren, die Jerusalem nur noch als Märchenstadt von Erzählungen her kennen.  Dennoch blieb die Sehnsucht nach Jerusalem als Zentrum des Glaubens im Volk wach und als die Perser schließlich die Macht im babylonischen Großreich übernahmen und es den Israeliten freistellten, in die Heimat zurückzukehren, beschlossen viele, diese Chance zu nutzen.

 

Die Alten, die von früher her Jerusalem noch als prachtvolle Stadt kannten und seine Zerstörung miterlebt hatten, mögen darauf vorbereitet gewesen sein, für die Jungen, die schon im Exil geboren worden waren, muss es ein Schock gewesen sein – sie kamen aus blühenden babylonischen Landschaften und fanden sich plötzlich in einer ausgedörrten Steppenlandschaft wieder, deren Zentrum eine ruinierte Stadt war.

 

Und nun kommt Jesaja und spricht: Freuet euch mit der ruinierten Stadt!

 

Und mit einem eindringlichen und eindrucksvollen Bild beschreibt er, wie es werden soll. Ein Bild, das wir alle kennen – zumindest vom Sehen her. Oder haben Sie Erinnerungen, wie Sie an den Brüsten ihrer Mutter gesaugt haben? Ich nicht und die, die ich im Zusammenhang mit diesem Text danach gefragt habe, auch nicht.

 

Als Väter und Mütter oder als fremde Beobachter haben wir es aber vor Augen – die tiefe Geborgenheit und Zufriedenheit eine Kindes, dass an der Brust seiner Mutter liegt. Und wir haben den Moment erlebt, in dem das Geschrei aufhörte, wenn die Brustwarze der Mutter gefunden war. Allenfalls in der Erotik mag sich wohl ein Rest dieses Gefühls erhalten haben.

 

"So soll es sein, so wird es sein", spricht Jesaja im Namen Gottes. Auch wenn es im Moment gar nicht danach aussieht und alles noch grau und lieblos ist – bald wird euch die alte-neue Heimat zu einer vollen Mutterbrust werden, an der ihr euch sattsaugen könnt. Sie wird euch aufnehmen und euch liebkosen, wie es eine Mutter mit ihrem Kind tut. Die ängstlichen Gedanken werden zu einem rauschenden Strom des Friedens werden und eure Beine sollen frisch und munter sein wie grünes Gras; denn Gott hat seine Hand über euch.   

 

Letztlich also passt der Text dann doch in die Kirchenjahreszeit, denn er spricht in eine kritische Situation hinein. Er verheißt Zukunft mitten in der Verunsicherung, zeigt von der Passion her hin zu Ostern.

 

Und so passt er wohl auch in die globale Ausnahmesituation, in der wir jetzt leben. Auch wir sind gerade irgendwie im Exil. Viele Menschen fragen sich, wie es weitergehen wird, was aus unserer Stadt wird, die sich so ganz und gar anders zeigt als wir das kennen. Bei den Alten unter uns kommen vielleicht Erinnerungen an die Nachkriegszeit hoch. Ich selbst denke jetzt manchmal wieder an meine Vergangenheit in der DDR und die Zeit der Wende, wo keiner wusste, ob am nächsten Tag die Panzer rollen oder die Grenzen geöffnet werden.

 

Es gibt ganz verschiedene Varianten, mit solch einer Situation umzugehen.

 

Man kann sich den negativen Eindrücken hingeben und sich im Geiste Katastrophenszenarien ausmalen - ein möglicher Weg, der aber meistens in irrationale Handlungen oder schwere Depressionen führt.

 

Man kann auch ganz rational alle Möglichkeiten und Varianten der Zukunft durchdenken und wird am Ende doch nach einer sehr mühevollen Arbeit zu dem Ergebnis kommen, dass es Situationen gibt, in denen keine eindeutige Aussagen mehr getroffen werden können, soviel man auch darüber forscht und nachdenkt. Die Zukunft lässt sich nicht eindeutig berechnen - das merkt man besonders jetzt, wenn die wissenschaftlichen Prognosen des einen Tages am nächsten Tag im Papierkübel landen.                    

 

Die dritte Variante ist: man kann den Worten des Jesaja vertrauen, die uns sagen: Gott ist auch in schwierigen Zeiten da und es wird die Zeit kommen, in der wir sein werden wie die Kinder, die Geborgenheit und Trost auf dem Schoß ihrer Mutter finden und Nahrung aus ihren Brüsten saugen. Das ist vorerst noch meine Variante - nicht von Berufs wegen - vielmehr deshalb, weil ich diese Erfahrung schon in manchen Situationen meines Lebens machen durfte, wofür ich Gott dankbar bin.

 

Michael Bickelhaupt


Lied zum Sonntag

Irischer Segensspruch

Geh deinen Weg ruhig und wisse, welchen Frieden die Stille schenken mag. Steh mit allen auf gutem Fuße, wenn es geht, aber gib dich nicht selber auf dabei. Sage die Wahrheit immer ruhig und klar und höre die anderen auch an, selbst die Unwissenden, Dummen - sie haben auch ihre Geschichte.



In diesem Sinne möge uns Gott allen einen wachen und mutigen Geist schenken, der das Wichtige vom Unwichtigen, das Wahre vom Falschen zu trennen vermag und uns erfahren lässt, dass Glaube, Liebe und Hoffnung die größten Kräfte des Lebens sind.      

Ihr/Euer   Michael Bickelhaupt

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Kommentare: 3
  • #1

    Tina Freiberger (Sonntag, 22 März 2020 10:56)

    Herzlichen Dank für diese Art des Gottesdienstes, und auch dafür, dass heute die Kirche geöffnet war!

  • #2

    Holger WOCHELE (Montag, 23 März 2020 13:14)

    Danke für die schöne und sehr "zeitgemäße" Predigt - und dafür, dass es diese Alternative zum derzeit unmöglichen Gottesdienst in der Kirche gibt.

  • #3

    Peter Bock (Montag, 23 März 2020 23:13)

    Danke für diesen Gottesdienst und die meinen Glauben unterstützende Predigt. Es wäre hilfreich,wenn nächsten Sonntag wieder ein Lesegottesdienst erschiene.