Lesegottesdienst Sonntag Judika (Schiemel)

Psalm des Sonntags  - Psalm 43

1 Schaffe mir Recht, Gott, / und führe meine Sache wider das treulose Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten! 2 Denn du bist der Gott meiner Stärke: Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt? 3 Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung, 4 dass ich hineingehe zum Altar Gottes, / zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott. 5 Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

 

Predigt über Hebräer 13, 12 - 14

12 Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. 13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. 14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

 

„Bleiben Sie zu Hause!“ wird uns seit Wochen in den Pressekonferenzen der Regierung nahegelegt. Im großen und ganzen halten wir uns an diese Empfehlung. In den eigenen vier Wänden fühlen wir uns sicher. Die Wohnungstür oder spätestens das Haustor bilden eine deutliche Grenze zu allem Unheimlichen, Bedrohlichen, das sich draußen ereignet.

 

„Draußen vor dem Tor“ sollen und wollen wir nicht sein. Eilig und vorsichtig begeben wir uns nur für unaufschiebbare Besorgungen auf die Straße. Dort treffen wir auf andere, auf solche wie wir, die auch nur kurz ihre heimelige Behausung verlassen haben. Ganz besonders fallen mir aber in diesen Tagen jene Menschen auf, die sich langfristig im öffentlichen Raum aufhalten, Armutsbetroffene, Obdachlose oder solche, die eine unerträgliche Wohnsituation ins Freie treibt.

 

„Draußen vor dem Tor“ sind sie vermutlich schon länger, allerdings fallen sie an normalen Tagen kaum auf in unserer schnellen, lauten Stadt. In der aktuellen Situation, in der die Etablierten von Entschleunigung und Perspektivenwechsel schwärmen, sind sie auf erschütternde Weise sichtbar. Ihr Elend drängt sich auf. Sie tun mir leid. Sie machen mir Angst. Sie stellen mich in Frage.

 

„Draußen vor dem Tor“ hat sich auch Jesus von Nazareth aufgehalten. Aus freien Stücken hat er die Unbehaustheit gewählt, hat sich zu den Menschen am Rand begeben. Er hat sich den Armen und Marginalisierten zugewandt, jenen, die an Leib und Seele krank waren, jenen mit verpönten Berufen oder einem zweifelhaften Lebenswandel. Auf wunderbare Weise hat er zeichenhaft Not gelindert. Er hat vom Reich Gottes gesprochen und so Hoffnung geweckt auf eine geheilte, gerechte Welt.

 

„Draußen vor dem Tor“ ist er schließlich auch zu Tode gekommen. „Darum hat auch Jesus gelitten draußen vor dem Tor“ heißt es in unserem Predigttext aus dem Hebräerbrief. Vor den Toren der heiligen und erhabenen Stadt Jerusalem, inmitten von Verbrechern und Geächteten, wird Jesus gekreuzigt. Er, der zeitlebens die Elenden aufgesucht hat, stirbt einen elenden Tod.

 

Im Hebräerbrief schließt sich dann gleich eine Aufforderung an. „So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.“ Wir sollen nicht in uns gehen, fasten, meditieren oder unsere Befindlichkeit beobachten. „Lasst uns zu ihm hinausgehen aus dem Lager“ heißt es ganz klar. Wir sollen das „Lager“ verlassen, sollen runter vom Sofa, raus aus der Komfortzone kommen. „Lasst uns seine Schmach tragen.“ In denen „draußen vor dem Tor“ begegnen wir Jesus. Lassen wir uns auf sie ein. Lassen wir uns von ihnen betreffen.

 

„Das ist aber jetzt ganz ungünstig.“ Wer würde in diesen Tagen nicht so denken. Abstand halten ist angesagt. Eine rüstige Seniorin, ein herziges Enkerl beteuern in einem Beitrag vor den Nachrichtensendungen, dass sie auf sich und einander schauen, bis alles wieder gut ist. „Social distancing“ ist zum Gebot der Stunde geworden. Man kann ja auch telefonieren, chatten, skypen oder was auch immer, um einander Trost und Mut zuzusprechen.

 

Auch wenn es sich um eine derzeit wohl vernünftige Verhaltensweise handelt, finde ich die Wortneuschöpfung „social distancing“ doch bedrückend. „Sozial auf Distanz gehen“ höre ich da mit. Abstand halten zu denen, die nicht zu mir gehören. Grenzen ziehen, Mauern errichten, Festungen bauen. Möglichst gar nichts mehr zu tun haben mit anderen Milieus, am allerwenigsten mit denen „draußen vor dem Tor.“

 

Wenn wir im Hebräerbrief aufgefordert werden, die Schmach Jesu zu tragen, dann ist das genau das Gegenteil von „social distancing.“ In den Armen und Ausgegrenzten, Jesu „geringsten“ Schwestern und Brüdern, wie es im Gleichnis vom großen Weltgericht heißt, können wir Jesus begegnen, seine Schmach mittragen. Es gibt gar nicht so wenige Menschen, die diesen Auftrag wörtlich nehmen, die wirklich auch in einer gefährlichen Zeit hinausgehen zu denen, die niemand treffen will.

 

Diese mutigen Altruisten verdienen unsere größte Hochachtung. Aber auch wir „Normalos“ können diesertage etwas tun. Wir können die Augen offen halten, können sensibel werden für die Menschen „draußen vor dem Tor.“ Für den Bettler, der gerade auf unsere Unterstützung angewiesen ist, für die Obdachlose, die einen Ort zum Verweilen sucht.

 

Und es wird ganz im Sinne Jesu Christi sein, wenn wir uns auch in der Zeit nach diesen besonderen Wochen, wie lange sie auch dauern mögen, diese Sensibilität, diesen Willen zu helfen beibehalten. Immer wieder sagen Politiker oder Experten, die Welt werde nach der Corona-Krise eine andere sein. Hoffen wir darauf und arbeiten wir daran, dass es eine bessere Welt sein wird.

 

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ endet unser Predigttext. Für die junge Christenheit war die zukünftige Stadt das himmlische Jerusalem. Auch wir dürfen uns auf ein endgültiges Sein bei Gott freuen. Davor aber sind wir gerufen, auch innerweltlich die Stadt der Zukunft zu suchen.

 

Sie wird sich von uns finden lassen. Und wer weiß, vielleicht wird es eine ökologischere, eine sozialere, eine menschlichere Stadt sein, eine Stadt der kurzen Wege, wo Vögel zwitschern und Bienen summen, eine Stadt der Freundlichkeit und Nachbarschaftshilfe. Niemand wird mehr „draußen vor dem Tor“ sein, da wir die Tore unserer Herzen weit geöffnet haben. Bemühen wir uns, dass diese zukünftige Stadt nicht nur ein Traum bleibt, sondern schrittweise Gestalt annimmt. Dann haben wir „der Stadt Bestes“ gesucht, dann können wir gut und in Würde leben.

 

Edith Schiemel


Barmherziger Gott,

wir gehen durch eine schwere Zeit.

Wir sind zurückgeworfen auf uns selbst

und hinterfragen vieles.

Wir bitten dich,

begleite uns,

stärke uns,

gib uns Hoffnung und Zukunft,

uns und allen Menschen,

auch denen "draußen vor dem Tor".

Das bittten wir durch Jesus Christus,

unsern Herrn und Heiland.

Amen



So möge Gott auch in der kommenden Woche bei uns sein. Er möge uns segnen und behüten. Er möge uns den rechten Weg weisen. Er möge uns trösten und einen langen Atem schenken, wenn wir es einmal gar nicht mehr auszuhalten meinen.

In Vertrauen auf Gottes Treue und Führung wünsche ich Ihnen/Euch eine angenehme Woche.

Ihre/Eure Edith Schiemel

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Kommentare: 2
  • #1

    Klaus Rott (Sonntag, 29 März 2020 10:36)

    Vielen Dank!

    Text zum Mitlesen wäre eine Anregung von mir.
    Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht,
    ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht.

    Kyrie eleison, sieh wohin wir gehn.
    Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

    Wollen wir Gott bitten, dass auf unsrer Fahrt
    Friede unsre Herzen und die Welt bewahrt.

    Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
    Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

    Denn die Erde klagt uns an bei Tag und Nacht.
    Doch der Himmel sagt uns: Alles ist vollbracht.

    Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
    Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

    Wollen wir Gott loben, leben aus dem Licht.
    Streng ist seine Güte, gnädig sein Gericht.

    Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
    Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

    Denn die Erde jagt uns auf den Abgrund zu.
    Doch der Himmel fragt uns: Warum zweifelst du?

    Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
    Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

    Hart auf deiner Schulter, lag das Kreuz, o Herr,
    ward zum Baum des Lebens, ist von Früchten schwer.

    Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
    Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

    Ein Urgestein befürchtet, dass der Termin Seniorennachmittag vielleicht nicht hält.

    Herzlichen Sonntagsgruß
    KR

  • #2

    Sabine Deopito (Sonntag, 29 März 2020 13:00)

    Vielen Dank für diesen Lesegottesdienst.
    Liebe Grüße an alle Lesenden/GottesdienstbesucherInnen.